»Gibt es Armut in Deutschland? – Ja, leider, viel zu viel. Es wird nur nicht beachtet.« Das ist das Fazit einer Gruppe Freiwilliger, die sich im März 2019 getroffen hat, um sich dem Thema Armut schauspielerisch zu nähern. Den Anstoß dazu gab das Protestantische Dekanat Frankenthal, das damit auf den Armuts- und Reichtumsbericht der Stadt Frankenthal reagierte. Begleitet wurde die Gruppe von der Frankenthaler Schauspielerin und Theaterpädagogin Melanie Gaug. In wöchentlichen Treffen erarbeitete die Gruppe die Präsentation »Leben am Limit – Armut in Frankenthal«, die am 24. und 25. August 2019 im Dathenushaus gezeigt wurde. Unterstützt wurde das Vorhaben von der Künstlerin Hanne Schütz, ebenfalls aus Frankenthal, die das Motiv für das Plakat zeichnete, und vom DGB, der Linken, der Tafel, dem Caritas-Altenhilfezentrum Heilig Geist und der Bürgerhilfe 2000 e.V., die als Gesprächspartner zur Verfügung standen. Ermöglicht worden war das Projekt durch den Protestantischen Diakonissenverein Frankenthal.
Wer einmal arm ist, machte die Gruppe deutlich, hat zunehmend schlechtere Chancen, diese Situation zu überwinden, immer mehr geht die Schere zwischen Reich und Arm auseinander. Gibt er sich als »Armer« zu erkennen, wird er zudem mit einer Flut von Vorurteilen konfrontiert. »Arbeitslos? Alt? Krank? Drogen?« – die Phantasie kennt scheinbar keine Grenzen. Was der Satz »Ich bin arm« in den Köpfen auslöst, wird von der Gruppe auf einer Overheadfolie notiert und über der Betroffenen an die Wand projiziert. Kommunikation darüber findet nicht statt. Dabei haben es von Armut Betroffene schon schwer genug. Szenisch stellt das die Gruppe mit Hilfe von Paketen dar, die eines der Mitglieder aufgeladen bekommt: Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung, Schulden, Krankheit, Vorurteile, Scham, … – nacheinander bekommt der Arme das aufgeladen. Da wundert es nicht, wenn er am Ende unter der Last der Pakete zusammenbricht. Auf der Bühne muß er aber nicht liegenbleiben: Mitgefühl, Freunde oder professioneller Beistand helfen ihm dabei, sich wieder aufzurichten. »Menschlichkeit«, so fassen es die Schauspieler auf der Bühne zusammen, ist das Gegenmodell für all das, war Arme aushalten müssen.
Über der gemeinsamen Arbeit haben sich auch die Auffassungen der Beteiligten zum Thema Armut verändert. »Eine Lebenswirklichkeit, die ich niemanden wünsche«, sagen sie, wenn das Geld trotz strengem Einteilen nicht für das reicht, was einem wichtig ist oder wenn man ständig Angst haben muß, nicht mehr für sich selbst sorgen zu können. Für die Gruppe ist es eine Verschwendung menschlicher Ressourcen, wenn Armut dafür sorgt, daß Einzelne ausgeschlossen sind und ohne Perspektive bleiben. Mit einer Szene aus Erich Kästners 1931 erschienen Kinderbuch »Pünktchen und Anton«, dargestellt als Schattenspiel, illustriert die Gruppe das. Anton, dessen Mutter, alleinerziehend, als Putzfrau arbeitet und an Krebs erkrankt ist, trifft auf Pünktchen, aus reicher Familie. Die Gegensätze könnten nicht größer sein: Anton arbeitet nebenher als Schnürsenkelverkäufer und trägt am Bahnhof Koffer, um für das Nötigste zu sorgen. Pünktchens Mutter kauft ein Kleid für 350 Mark und hält das für fast geschenkt, Anton macht sich Sorgen über die fünf Mark Miete, die er wieder aufbringen muß. Da fragt Anton sich, weshalb es Arme und Reiche geben muß.
Wie aktuell Erich Kästners Geschichte ist, zeigte sich an vier Beispielen aus der Arbeit der Frankenthaler Bürgerhilfe. Diese hilft, wenn staatliche Stellen nicht mehr helfen können. Dabei ging es um elementare Dinge: Buggy, Kinderbetten, Kühlschrank oder Mietkaution, die die Betroffenen sich nicht mehr leisten konnten, ohne hungern zu müssen. Arm ist, so gibt die Gruppe eine der Meinungen aus ihren Gesprächen mit Freunden und Bekannten wieder, wer keine Chance in der Gesellschaft hat.
Muß es so bleiben? Reiche, so Anton, interessieren sich überhaupt nicht für Arme, auch wenn Pünktchen sagt, daß sie ihm die Hälfte ihres Reichtums abgibt, wenn sie groß ist. Eine weitere Geschichte von Erich Kästner nimmt den Faden auf und beschließt die Präsentation. »Von der Armut« ist sie überschrieben, die Gruppe bietet sie als gemeinsamen Sprechgesang dar. »Sie haben nicht genug Brot? Dann sollen sie doch Kuchen essen!« legt Kästner der französischen Königin Marie Antoinette in den Mund. Für die hungernde Pariser Bevölkerung hatte sie kein Verständnis. Was wäre, wenn die Reichen wirklich wüßten, wie es den Armen geht? Ob sie dann teilen? »Wollt ihr helfen, daß es so wird?« ist der letzte Satz der Geschichte und der letzte Satz der Präsentation. Bei den Gesprächen im Anschluß an die Präsentation und an den Infoständen von DGB, Linken oder Frankenthaler Tafel gab es Gelegenheit, sich darüber auszutauschen.
Kontakt: Melanie Gaug, Telefon 0175/202 31 22, E-Mail melanie.gaug@web.de, und Joachim Sinz und Ralf Zeeb vom Gemeindepädagogischen Dienst des Protestantischen Dekanats, Telefon (06233) 2390977, E-Mail JSinz11263@aol.com oder pfarramt.ft.pilgerpfad.1@evkirchepfalz.de (Ralf Zeeb)